Gelassenheitstraining für Reiter, die zuviel denken
Oct 14, 2010Vor Kurzem habe ich ein Buch gelesen, Titel: “Zen oder die Kunst ein Pferd zu reiten”. Das klingt für viele Reiter eher nach Räucherstäbchen und Henna-Farben als nach nützlichen Informationen, tatsächlich ist es aber sehr interessant. Was wir für unser Reiten und den Alltag aus dem Buch und den Lehren des Zen übernehmen können und wie wir damit dem Oberziel Harmonie tatsächlich ein Stückchen näher kommen können…
Und damit wird’s zum Ende des Wochenendes nun nochmal richtig philosophisch.
Viele von uns sind nicht mehr wir selbst. Im Alltag nicht und auch auf dem Pferd nicht. Wir denken an dies und jenes, vielleicht auch an das Reiten, aber eben auch an ganz viele andere Sachen. Woran wir meistens nicht denken, ist der Augenblick in dem wir uns gerade befinden. So machen wir alles “nebenbei”, sind geistig bereits bei der nächsten oder übernächsten Sache oder irgendwelchen vergangenen Momenten. Hier können wir übrigens viel von unseren Pferden lernen, die immer im Moment leben und nur auf unmittelbare Reize reagieren – aber dazu an anderer Stelle mehr.
Der Schlüssel zur Harmonie mit dem Pferd (und im übrigen auch mit uns selbst und unserer gesamten Umwelt) liegt laut den Lehren des Zen darin, zu lernen, sich auf den Moment zu konzentrieren. Gedanken bewusst abzuschalten, sich die eigenen, augenblicklichen Handlungen, Worte und Gedanken bewusst zu vergegenwärtigen und sich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Tut man das, lernt man allmäglich die Dinge wieder so zu sehen, wie sie sind und sich nicht von unzähligen, im Grunde unnützen weil in dem Moment nicht relevanten Gedanken blockieren zu lassen. Im Moment zu leben heißt zu erkennen, was in dem Moment wichtig ist. Das haben die meisten Menschen in der westlichen Welt verlernt.
Nur, wenn wir so oft nicht im Moment leben – wo bzw. wann leben wir denn dann? Verschenken wir nicht all diese Augenblicke, die an uns vorbeiziehen, ohne, dass wir es merken? Wenn wir die Box ausmisten und dabei schon an den Ritt danach denken, leben wir dann überhaupt richtig, während wir ausmisten? Nach den Grundsätzen des Zen müsste in dem Moment, wo wir am ausmisten sind, das Ausmisten der Box das Wichtigste in unserem Leben sein. Diese Form der “Selbstvergessenheit” (die man ruhig wörtlich als solche nehmen kann) bezeichnet übrigens auch das, was mit “Achtsamkeit” gemeint ist, ein “Anti-Stress-Trick”, der in letzter Zeit selbst in den gängigen Frauenzeitschriften Erwähnung findet. Das was man tut, bewusst zu tun, ohne zu analysieren oder es zu “zerdenken”, das ist das Prinzip. Man merkt, im Zen wie auch in diesem Buch geht es weniger um eine Reitlehre, als um eine ganze Lebenseinstellung, die unser beschleunigten Gesellschaft eher ungewöhnlich ist.
Im Zen geht es darum, die höchstmögliche Harmonie mit seiner Umwelt zu erreichen. Beim Reiten geht es darum, die höchstmögliche Harmonie mit seinem Pferd zu erreichen. Es gibt also tatsächlich Parallelen zum Reiten. Der Weg zur Harmonie führt im Zen wie bereits erwähnt darüber, zu lernen, sich auf den Moment zu konzentrieren und diesen bewusst wahrzunehmen.
Zen begründet sich auf den Lehren des Buddha. Dieser hat irgendwann festgestellt, dass der Schlüssel zum Glück in der “Harmonisierung mit dem Kosmos” liegt – was nicht mehr heißt, als die Dinge so zu nehmen wie sie sind. Wir alle kennen das, aus dem Alltag und Situationen im Sattel – während wir etwas tun, hinterfragen und bewerten wir es auch schon: War das jetzt gut? Was hätte ich besser machen können? Oh nein, jetzt ist er schon wieder falsch angaloppiert! In der Zwischenzeit passiert aber schon wieder ganz was anderes, ohne dass wir es merken oder darauf vorbereitet sind. Im Zen geht es darum, Dinge nicht tot zu grübeln, sondern einfach zu erkennen, was ist und danach im Vertrauen auf die eigene Intuition zu handeln. “Je wichtiger uns eine Sache ist, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie schief geht. Wir konzentrieren uns so sehr auf das Wollen, das wir das Machen vergessen. Wir verkrampfen nicht nur geistig, sondern auch körperlich, das spürt das Pferd und ist seinerseits verunsichert… Nicht denken, reiten. Trotz der widrigen Umstände in Harmonie mit dem Pferd zu sein – dann verlieren Situationen ihren Schrecken, schwindet die Nervosität bei Pferd und Reiter.
Wer reiten gelernt hat, beherrscht die Techniken und kann diese eines Tages “im Schlaf” abrufen. Die meisten Reiter wissen irgendwann, wie Sie welche Hilfe geben müssen und wie die einzelnen Lektionen aussehen sollten, und das auch ohne nachzudenken. Dies wäre nach der Idee des Zen der Punkt, an dem man das bewusste Reiten abstellen und “geschehen lassen” kann. Übung ohne Einschaltung des Bewusstseins ist demnach besser als bewusste Übung. Im Grunde soll man sich einfach nur bemühen, das beste Ergebnis zu erzielen und dabei “mit seinem Körper denken”. Damit gemeint ist die Atmung und die Haltung des Körpers, die nicht nur beim Reiten im Sinne des Zen der Schlüssel zu allem weiteren und zum natürlichen Zustand – ohne blockierendes Kopfkino.
Das mag theoretisch alles Sinn machen, in der Umsetzung sieht das aber schon anders aus. Jeder der reitet, weiß, wie sehr dieser “Weg zur Harmonie” von Rückschlägen begleitet wird. Was heute gut läuft, kann morgen in einer Katastrophe enden. Plötzlich mag das Pferd nicht mehr auf dem richtigen Fuß angaloppieren, dabei ging das doch sonst immer. Habe ich das Bein vielleicht nicht weit genug zurückgenommen? Hat mein Pferd ein Problem mit dem Rücken? War es abgelenkt, weil sein Kollege draußen vorbeigelaufen ist? Ohne ausschließen zu wollen, dass das alles so sein mag, vernebelt der Blick auf die Kleinigkeiten leicht die Sicht aufs Ganze. Probleme, Rückschläge und vielleicht sogar Fehler neutral hinzunehmen, ist schwierig, aber möglich. Die richtige Einstellung ist wichtig, das “im Moment bleiben”. Gerade in solchen Momenten hilft es oft, sich wieder auf das Eigentliche zu besinnen, das Geschehene wertungsfrei hinzunehmen, tief durchzuatmen und einfach weiter zu machen.
Und noch eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt, findet in dem Buch Erwähnung: Die Rolle der Konsequenz im Umgang mit Pferden auf dem Weg zur Harmonie. “Das Pferd unterscheidet nur zwischen richtig und falsch. Was dazwischen liegt, was vielleicht ein bisschen richtig oder ein bisschen falsch ist, schlimmer noch, was heute richtig und morgen falsch ist, kann das Pferd nicht begreifen.” Dem Pferd etwas heute durchgehen zu lassen (und ihm damit zu vermitteln, dass es richtig ist) und es ihm morgen anzukreiden, nur, um es ihm übermorgen wieder durchgehen zu lassen, hilft dem Pferd nicht – im Gegenteil. “Denn das Tier, das einem nur scheinbar Ranghöheren folgtm der aber in seinem Verhalten diese höhere Position nicht ausfüllt, der dem PFerd keinen Vorteil, keine Schutz, kein positives Erlebnis vermittelt, hat im wahrsten Sinne des Wortes ‘aufs falsche Pferd gesetzt’.” Viele Auseinandersetzungen mit dem Pferd können vermieden werden, nur in dem man sich dies nachhaltig bewusst macht.
“Und dann gibt es Tage, an denen diese oder jene Lektion trotzdem nicht funktionieren will. Man selbst ist nicht immer gleich und das Pferd ist es auch nicht, bzw. kann es nicht sein. Aber die innere Haltung muss stimmen.” Man sollte also immer bei der Sache bleiben. Wenn wir das nicht sind, können wir auch nicht erwarten, dass das Pferd es ist. Denn leider liegt auch im Zen nicht das Patentrezept, das alle Probleme einfach so und von heute auf morgen aus der Welt schafft. Wieder nicht. Schade. Aber ganz viel lernen kann man davon, für den Alltag und fürs Reiten. Jeden Tag ein bisschen mehr. Und irgendwann merkt man vielleicht, dass die Dinge viel einfacher sind, wenn man sie nimmt wie sie sind, als ständig nach dem “Warum” zu fragen.
Das kann man lernen, indem man jeden Tag ein bisschen übt, bewusst wahrzunehmen: Zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu fühlen, Musk eln an- und abzuspannen und zu atmen, ob auf dem Pferd und bei der Arbeit, beim Einkaufen oder Abwaschen. Und damit lernt, die Dinge zu nehmen, wie sie sind.
Wer jetzt noch mehr erfahren will: Hier gibt es das erwähnte Buch von Fabian Wolff.
P.S. Diejenigen, die sich mit dem Training von Mark Rahid (und vielleicht einiger anderer Trainer, die auf einer ähnlichen Schiene unterwegs sind) schon auseinandergesetzt haben, werden mit den Grundzügen dieser Ideen schon vertraut sein. Auch ihm geht’s um den Weg von der ersten willentlichen Anstrengung hin zum losgelassenen, intuitiven Reiten.