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Die Schiefe des Reiters – Yoga für mehr Gleichgewicht im Sattel

Mar 31, 2020

– Dieser Text ist, in leicht abgeänderter Form, in dem Magazin FEINE HILFEN, Ausgabe 40, erschienen –

Nicht nur unsere Pferde sind schief, wir sind es auch. Doch das ist kein Grund zur Verzweiflung, sondern eine schöne Möglichkeit für die neugierige Selbsterkundung und Bewusstseinsschärfung.

Ich versuche, meine Yogakurse für Reiter sehr positiv zu gestalten. Ich möchte, dass es allen gut geht, und dass jeder Teilnehmer die Übungen und Varianten findet, die ihm helfen, Körper und Geist spürbar in Balance zu bringen. Die Momente, in denen die gute Stimmung zu kippen droht, sind am ehesten diejenigen, in denen die Teilnehmer an ihre eigenen Grenzen stoßen. Zum Beispiel, wenn eine asymmetrische Übung sich auf einer Seite weniger gut anfühlt: „Oh nein, was ist das denn, die andere Seite ging doch viel einfacher!“- „Das ist meine schlechte Seite!“- „Auf der Seite kann ich das nicht!“

Dass die Schiefe des Pferdes real ist, man aber konstruktiv mit ihr arbeiten kann, ist glücklicherweise gelernt und akzeptiert. Aber wie steht es um unsere eigene „Schiefe“? Gehst du mit dieser ebenso gleichmütig und positiv um? Bei uns ist ja eher das Gegenteil der Fall: Wenn wir feststellen, dass wir selbst schief sind, frustriert uns das leicht – wie immer, wenn unser Körper nicht so will, wie unser Kopf. Wir idealisieren die perfekte Symmetrie und wünschen uns Perfektion. Doch was ist, wenn unsere Definition von „perfekt“ hier das eigentliche Problem ist? Wenn unperfekt eigentlich total perfekt, weil von der Natur so vorgesehen, ist?

Der Mensch verliert seine ureigene Symmetrie bereits als Embryo, in dem Moment nämlich, wo links neben dem späteren Brustbein das Herz entsteht. Und obwohl unsere spätere äußere Hülle die Hoffnung auf Symmetrie erweckt (sofern wir gesund sind, haben wir immerhin zwei Arme, zwei Beine, zwei Augen, einen mittigen Mund, eine mittige Nase etc.), ist diese spätestens auf den zweiten Blick relativ. Überall gibt es kleine Unregelmäßigkeiten, ein etwas niedrigeres Ohr, einen etwas kräftigeren Arm etc. Und wenn wir ins Innere des Körpers schauen, nimmt die Asymmetrie noch weiter zu: Unsere inneren Organe wirken eher effizient verstaut als symmetrisch angeordnet. Und auch das Gehirn ist asymmetrisch, obwohl es zwei Hälften besitzt. Hinzu kommt, dass die allermeisten von uns eine klare Lieblingsseite haben, in 90 % der Fälle ist das die rechte. Sprich: Wir sind so asymmetrisch und doch funktional perfekt, wie fast alles in der Natur.

Es gilt unsere eigenen Asymmetrien (an) zu erkennen  

Es ist wichtig zu verstehen, dass unsere natürlichen Asymmetrien ebenso unproblematisch sind, wie die des Pferdes. Konstruktiver als nach perfekter Symmetrie zu streben ist es daher, einen Zustand von Balance anzupeilen – und die kommt auch von innen. Wenn wir uns annehmen können, wie wir sind, lebt es sich leichter. Und das erleichtert es uns nicht zuletzt auch, positive Veränderungen dort zu erzielen, wo es möglich ist. Wer seine eigenen Stärken, Schwächen und Möglichkeiten in Bezug auf die linke und rechte Seite kennt, kann sein Pferd besser verstehen. Wir können ihm empathischer begegnen, wenn es unseren Signalen nicht so reibungslos folgen kann, wie wir uns das wünschen würden. Und wer sich nicht selbst geißelt, weil er z.B. in der linken Hüfte immer wieder einknickt, reitet direkt entspannter – und besser. Also: Nicht verrückt machen, wenn wir uns „verrückt“ fühlen, sondern neugierig wahrnehmen und dann konstruktiv damit arbeiten.

Denn was uns tatsächlich irgendwann aus dem Gleichgewicht wirft, ist das „Augen verschließen“, die Nicht-Beachtung unserer Haltungs- und Bewegungsmuster, gerade in Verbindung mit unserem oft sehr einseitigen Lebensstil. Wenn wir unsere Taschen jahrzehntelang unbewusst immer auf unserer Lieblingsseite tragen, mit rechts (oder links) Zähne putzen, tippen, schreiben, werfen, heben, auf einer Seite schlafen, führt das irgendwann nämlich doch zu Problemen: Die Asymmetrie verstärkt sich und geht dann von Händen und Armen durch den ganzen Körper. Wenn bestimmte Körperteile dadurch auf Dauer nicht genügend benutzt werden, kann das zu Fehlhaltungen, Muskelverspannungen und daraus folgend auch zu Schmerzen führen. Probleme mit der Schulter, Rücken, Hüfte und Knie sind die Folge. Nach und nach verschiebt sich dadurch der gesamte Körperschwerpunkt, bis eines Tages unser Pferd plötzlich ganz woanders hingeht, als wir es zu lenken meinen.

Was also tun? Um den Körper in Balance zu bringen, braucht es erstmal vor allem (eine nicht wertende) Selbstbeobachtung und Bewusstseinsschulung. Wie fühlt sich mein Körper an? Wann entstehen Schmerzreaktionen? Welche Gedanken und Emotionen verursachen Anspannung im Körper? Je besser wir all diese Fragen beantworten können, desto besser können wir uns selbst immer wieder in ein Gleichgewicht bringen. Es gilt zu üben, den Körper wahrzunehmen und so auch das Gefühl für die weniger genutzte Körperhälfte wiederherstellen. Für all das ist Yoga wie geschaffen, aber es gibt natürlich auch andere bewusste Bewegungsformen, die hier Wunder wirken können.

Durch neugierige Selbsterforschung zu mehr Balance 

Wenn wir den Körper gezielt durch vielseitigere Bewegungen, Dehnungen und Drehungen führen, als wir sie ihm im Alltag selten bieten, erhöhen wir nach und nach seine Kraft, die Beweglichkeit und auch unser Körperbewusstsein. Das „Hineinfühlen“ in einzelne Körperpartien und den Körper insgesamt hilft uns, einen besseren Kontakt zu ihm herzustellen. Und wenn wir dabei noch bewusst atmen, führt das insgesamt zu einer Reduzierung von Erschöpfung und Stress und somit wiederum zu einer Entspannung der Muskulatur. Auf dieser Grundlage können dann neue Bewegungsmuster und ausgleichende Körperstrukturen entstehen. Von innen heraus.

Denn genauso wenig, wie wir das Geraderichten des Pferdes dadurch erreichen, dass wir es fest in einer Position halten, sondern dadurch, dass wir dauerhaft und ausgewogen mit ihm an der nötigen Kraft und Flexibilität arbeiten, um beide Hinterbeine gleichmäßig einzusetzen, können wir uns selbst nicht „zurechtbiegen“ um Dysbalancen auszugleichen. Beim Pferd wie bei uns führt der Weg über eine längere Zeit des Lösens von verkürzten und verengten Muskeln, Sehnen, Bändern und faszialem Gewebe und der Kräftigung die schwachen Strukturen. So stellen wir nach und nach eine gleichmäßige Verteilung der Arbeit in allen benötigen Muskelgruppen und damit eine Balance in der Bewegung her.

Zum Glück kann ich mich inzwischen darauf verlassen, dass meine Teilnehmer nach einer Weile des Yoga-Übens begeistert berichten, dass nun auch ihre schwächere Seite deutlich besser „funktioniert“, dass sie sich dort langsam sicherer und kontrollierter fühlen und sie ihre Bewegungen ähnlich fein regulieren können, wie auf ihrer stärkeren. Sie erzählen, dass ihre Pferde sich unter ihnen deutlich gleichmäßiger auf beiden Händen bewegen und alle möglichen Probleme plötzlich in Luft auflösen. Die vielen positiven Geschichten dazu helfen mir, meinen Teilnehmern auch durch die zäheren Momenten zu helfen. Wohlwissend, dass wir alle auf einem Weg sind, auf dem „perfekt“ und „unperfekt“ kaum voneinander zu trennen sind, dass wir mit einem Mehr an Bewusstsein aber immer einen Schritt weiter sind.

Übungen für mehr Balance im Sattel 

Achte ganz bewusst auf die Unterschiede zwischen den beiden Seiten. Wenn du die Übungen bewusst ausführst, wirst du nicht nur unterschiedliche Spielräume auf beiden Seiten bemerken, sondern auch fühlen, wie der Körper sich durch kleine Anpassungen jeweils etwas anders ausbalanciert.

Die gesamte Sequenz als Video findest du hier:

 Die Übungen im Einzelnen 

 1. Zwischenübung: Fühlen im Fersensitz (Vajrasana) 

Fersensitz

Setz dich jeweils zwischen den folgenden Übungen immer wieder kurz mit gebeugten Knien auf die Füße. Fühle: Welche Seite des Gesäßes, welches Bein, welcher Fuß, fühlt sich schwerer an? Zu welcher Seite verlagere ich mein Gewicht? Dann an dieser Seite mit den Händen die Gesäßmuskulatur seitlich unter dem Körper hervorziehen, so dass die andere Gesäßhälfte schwerer zum Liegen kommt. Einen Moment das Gefühl von Balance fühlen. Beobachten, wie sich das Gefühl in dieser Übung nach jeder der folgenden Übungen verändert.

 2. Die Pyramide (Parsvottansana) 

Wofür?

Streckt die Wirbelsäule und die Rückseite der Beine. Hilft dem Reiter, sich gleichseitig im Brustraum aufzurichten und die Rückseite lang zu halten. Bringt Bewusstsein für die Position des Beckens und übt, dieses gerade zu halten. Bringt Stabilität und Flexibilität in die Hüften und somit ein „langes Bein“ im Sattel.

Wie?

  1. Aus dem Stand einen großen Schritt zurücktrete. Hinterer Fuß quer, vorderer gerade.
  2. Hinter dem Rücken die gegenüberliegenden Ellbogen greifen. Das Becken weiterhin gerade ausrichten. Das Steißbein etwas nach unten senken und die Dehnung im Oberschenkel des hinteren Beines fühlen. In die seitlichen Rippen atmen und den Brustkorb heben.
  3. Mit geradem Rücken den Oberkörper langsam nach vorne und unten beugen, der Kopf ist in Verlängerung der Wirbelsäule.
  4. Weiter nach vorne unten beugen, soweit es angenehm ist. Hier ein paar Atemzüge bleiben. Vom Kopf aus nach vorne strecken, die Dehnung in der Rückseite des vorderen Beines fühlen. Dieses ggf. leicht anbeugen.
  5. Jetzt den Oberkörper loslassen und weiter über das Bein sinken lassen, Arme lösen und nach unten hängen lassen, ggf. den vorderen Fuß greifen. Den richtigen Punkt zwischen „zuviel“ und „nicht genug“ Dehnung finden. Ggf. das vordere Bein zwischendurch leicht beugen und wieder strecken. Mindestens 3 Atemzüge halten.
  6. Dann wieder Ellbogen hinter dem Körper greifen, den Rücken gerade ziehen und den Oberkörper wieder heben.

Seite wechseln, wiederholen. Am Ende zwei bis drei Atemzüge ruhig stehen und nachspüren.

 3. Gestreckte Winkelhaltung (Parsvakonasana) 

 

Wofür?

Klingt langweilig ist aber ein echtes ein Geschenk: Die Übung dehnt und öffnet den gesamten Körper, fördert die Balance und Ausdauer, macht die eigene Kraft spürbar und setzt ungeahnte Energie frei.

Wie?

  1. Aus dem Stand ausatmend das linke Bein nach hinten in einen Ausfallschritt führen. Hinteren Fuß quer, der vordere zeigt gerade nach vorne. Die Fersen sind auf einer Linie.
  1. Das rechte Knie beugen, bis der Oberschenkel parallel zum Boden ist und das Knie einen rechten Winkel formt. Achte darauf, dass das Knie direkt über dem Fußgelenk ist und nicht über den Fuß hinausragt. Die hintere Fußaußenkante fest erden.
  2. Arme zur Seite ausstrecken und den Oberkörper aus der Hüfte nach rechts führen, so dass du den rechten Unterarm auf dem rechten Oberschenkel ablegen (oder, schwieriger: Die rechte Hand neben dem rechten Fuß auf die Matte stellen) kannst. Die linke Hand streckst du nach oben. Die Schultern stehen senkrecht übereinander.
  3. Wirbelsäule in die Länge strecken und den Brustkorb nach vorn führen. Die Schulterblattspitzen streben Richtung Hüfte, um Platz zwischen Schulter und Ohr zu schaffen. Hebe dich aus der rechten Schulter heraus und schiebe dein Knie aktiv nach hinten, damit es nicht nach innen kippt.
  4. Blick zum linken Daumen drehen und fünf Atemzüge hier bleiben.
  5. Einatmend aufrichten, Seite wechseln.

 

4. Kopf-zum-Knie-Haltung (Janu Shirsasana) 

Wofür?

Hilft, Verspannungen im Rücken zu lösen. Es wird jeweils immer eine Beinrückseite, eine Körperseite sowie der Rücken gedehnt. Die Beckenmuskulatur wird gelöst. Die Haltung strafft die Bauchmuskeln, regt die Verdauung an, massiert die inneren Organe und entspannt das Nervensystem.

Wie?

  1. Mit ausgestreckten Beinen am Boden sitzen. Wenn der untere Rücken rund wird, auf eine Decke setzen. Die Oberschenkelmuskeln sind angespannt.
  2. Linkes Knie beugen, so weit wie möglich nach hinten führen und nach links außen sinken lassen. Fußrücken vor dem Schambein ablegen. Der Winkel sollte größer als 90 Grad ggü. dem rechten Bein sein. Der Oberkörper ist gestreckt und gerade, der Kopf in Verlängerung der Wirbelsäule.
  3. Über das gestreckte rechte Bein drehen. Die Zehen ranziehen. Und dann den Rücken möglichst gerade lassen und nach vorne absinken. Die rechte Hand außen an das rechte Bein setzen, die linke Hand an die Außenseite des Beines oder Fußes. Mit jeder Einatmung lang im Oberkörper werden, mit jeder Ausatmung etwas weiter nach vorne (weniger als nach unten) sinken lassen. Das Gewicht möglichst gleichmäßig auf beide Beine verteilen. Mindestens fünf Atemzüge verweilen.
  4. Einatmend langsam aufrichten, die Hände auf die Knie und kurz nachspüren. Seite wechseln, wiederholen.

5. Die Kuhgesichts-Haltung (Gomukhasana) 

Wofür?

Intensiv dehnende Übung für die Beine und die Arme. Öffnet und dehnt Hüften, Schultern und Gesäßmuskulatur. Weitet den Brustraum und streckt die gesamte Wirbelsäule. Kräftigt die Arm- und Schultermuskulatur und den Rücken.

Wie?

Teil 1: Die Beine:

  1. Mit ausgestreckten Beinen auf den Boden setzen, der Rücken ist gerade und aufgerichtet.
  2. Das linke Knie beugen und linke Bein über das rechte heben. Den linken Fuß so nah wie möglich an der rechten Gesäßhälfte ablegen.
  3. Nun beuge das untere, rechte Bein unter dem linken Bein hindurch und führe deine rechte Ferse so nah wie möglich zur linken Gesäßhälfte. Die Knie sollten nun – wenn möglich – direkt über einander liegen. Falls das nicht möglich ist, kannst du dich auch leicht erhöht auf ein Kissen oder einen Block setzen.

Teil 2: Der Oberkörper

  1. Den rechten Arm gerade nach oben strecken und den linken Arm nach unten. Beide Ellenbogen beugen, sodass die rechte Handfläche und der Handrücken der linken Hand auf dem Rücken ruhen.
  2. Hier bleiben oder vorsichtig versuchen, die Fingerspitzen zusammenzubringen. Alternativ lässt sich auch ein Gürtel, Führstrick oder Schal nehmen, Hände zu verbinden. Ob die Finger einander berühren oder ob die Arme mit einem Hilfsmittel „verlängert werden“, ändert nichts an der Qualität der Übung.
  3. Der Rücken bleibt aufrecht und gerade, das Kinn parallel zum Boden.
  4. So lange in der Haltung verweilen, wie es guttut. Die intensive Dehnung genießen. Die Übung auf der anderen Seite wiederholen.
 

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